Samstag, 31. Dezember 2011

Guten Rutsch und Prosit Neujahr!


Entwurf (vermutlich) für eine Neujahrs-Postkarte von Fritz Schönpflug (* 15. Juni 1873 in Wien; † 18. Februar 1951 in Wien). Aquarellierte Federzeichnung.

Freitag, 30. Dezember 2011

Dekadenz (2)

In dem Kreis, in dem ich verkehrte, galt die Liebe als eine Verirrung, ein Verlöbnis war so etwas wie eine Apoplexie und eine Ehe ein Siechtum. Wir waren jung. An eine Heirat dachte man zwar als eine unausbleibliche Folge des Lebens, aber ähnlich, wie man an eine Sklerose denkt, die wahrscheinlich in zwanzig oder dreißig Jahren notwendig eintreten muß. … Wenn ich manchmal unerwartet zu meinen Freunden stieß, glaubte ich aus ihrem plötzlichen Schweigen schließen zu müssen, daß sie soeben, vor meiner Ankunft, von meiner Liebe zu Elisabeth Kovacs gesprochen hatten, und ich war verdüstert, als hätte man mich auf einer Missetat ertappt, als hätte man eine verfemte, geheime Schwäche bei mir entdeckt. In den wenigen Stunden aber, in Denen ich mit Elisabeth allein war, glaubte ich zu spüren, wie sinnlos und sogar frevlerisch der Spott meiner Freunde war, ihre Skepsis und ihre hochmütige “Dekadenz”.

Joseph Roth: Die Kapuzinergruft, 1938

Donnerstag, 29. Dezember 2011

Große Prater-Schaukel

Dies sind eure Absinth-Räusche des Lebens, Mädchen aus dem Volke! Alles wird zuunterst zuoberst gekehrt, gestürzt! Und beim Tal-abwärts kreischt ihr vor Angst und Erregung! Hier vergeßt ihr, daß der Zins vor der Türe ist und daß man in jedem Augenblicke schwanger werden und verlassen werden könnte! Hier erlebt ihr eure Meerfahrt-Emotionen, Seekrankheit für 10 Kreuzer!

Und nachher in die Wiesen, in die dunklen weiten Wiesen!

Pfeife, Schurl, wenn Polizei kommt!

Peter Altenberg, in: Was der Tag mir zuträgt, Berlin 1901


Die Hauptallee im Prater.


Wurstelprater mit Riesenrad.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Dekadenz (1)

Es war damals, kurz vor dem großen Kriege, ein höhnischer Hochmut in Schwung, ein eitles Bekenntnis zur sogenannten “Dekadenz”, zu einer halb gespielten und outrierten Müdigkeit und einer Gelangweiltheit ohne Grund. In dieser Atmosphäre verlebte ich meine besten Jahre. In dieser Atmosphäre hatten Gefühle kaum einen Platz, Leidenschaften gar waren verpönt. Meine Freunde hatten kleine, ja, unbedeutende “Liaisons”, Frauen, die man ablegte, manchmal sogar herlieh wie Überzieher; Frauen, die man vergaß, wie Regenschirme, oder absichtlich liegenließ, wie lästige Pakete, nach Denen man sich nicht umsieht, aus Angst, sie könnten einem nachgetragen werden.

Joseph Roth: Die Kapuzinergruft, 1938

Dienstag, 27. Dezember 2011

Rudolf Koppitz: Bewegungsstudie



Rudolf Koppitz: Bewegungsstudie, 1925

Maria Schanda von Trude Fleischmann, 1933

Schauspielerin Tala Birell mit einer Skulptur von Franz Hagenauer




Carl Hagenauer (1872-1928) founded a workshop for artistic metal works in Vienna/Austria in 1898, the “Werkstätte Hagenauer” – marking the heyday of metalworking in the arts and crafts. It should become a legendary company that produced outstanding metal (and later also wood) sculptures until 1987.

At first Carl Hagenauer produced those classic Viennese bronze objects modeled after antiquity and old masters. Flowing lines and soft natural forms were typical of the works of the young entrepreneur who had been trained as a goldsmith and silversmith, chaser and belt-maker. Within a very short time Hagenauer became the leading representative of metalworking in Viennese arts and crafts.

The next generation, the brothers Karl and Franz, introduced a stylistic shift, which meant world fame for Hagenauer. The architect Karl Hagenauer had already worked as a student in his family’s company as well as for master teacher Josef Hoffmann and the Wiener Werkstätte. From then on clear geometric contours ruled supreme, and the non-functional ornament was declared obsolete. Karl Hagenauer and his younger brother Franz, who found his artistic calling in sculpture, were clearly ahead of their times in anticipating a stylistic development that later became well known as “Northern design”.

WWII brought an abrupt end to the Hagenauer’s economic success and the company now had to get by with a different assortment and alternative materials. The range of products was thus expanded in the post-war eras to include funny animal figures and pleasingly designed functional objects made of wood. Following Franz Hagenauer’s death in September 1986 production continued for another year. After this one of the most successful chapters in Austria’s metal processing industry came to a halt.

I had the chance to take pictures of some objects during an exhibition in Vienna showing works by the Hagenauer workshop for the first time in 40 years. Today the main part of the diverse and stylistically highly innovative examples of Austrian design history is to be found in private collections, also in those of Andy Warhol and Barbara Streisand.

Mehr Fotos über die Werkstätte Hagenauer auf flickr.

L'assassinant de Baltard von Jean-Claude Gautrand





In 1972, Jean-Claude Gautrand (born in 1932) shot a series of images of the deconstruction of a famous market hall in Paris, the “halles de Baltard”. The series is titled “l’Assassinat de Baltard”.
These images are enormously striking: the elegance of the steel construction amidst the power of the explosion, the play of light in the dust clouds.

Schleier (1)


Im Café Marquardt widersetzen wir uns vollen Herzens gegen alle populistischen und fundamentalistischen Strömungen. Und plädieren so auch für eine sofortige Wiedereinführung des Gesichtsschleiers.

Leibesübungen (1): Le Tour in den 1930er Jahren

Joseph Roth antwortete einst auf die Frage eines anderen Kaffeehausgastes im niederländischen Zandvoort aan Zee, ob er denn auch im Meer schwimme: “Gehen denn Fische ins Café?” Während also so mancher unserer Gäste eher einer “no sports” Philosophie nachstrebt, sind wir doch selbst Befürworter körperlicher Ertüchtigung, am liebsten an frischer Luft, um Körper und Geist in Einklang zu bringen.

Heute eine Ehrbezeugung an die "Helden der Landstraße" mit einem Artikel, der im Juli 2010 auf Dieselpunks.org gepostet wurde:

July is traditionally the month of the Tour de France. Reason enough to look back at the heroes of road in the 1930s, at a time when roads were predominantly dirt tracks, derailleur use wasn't allowed and competitors carried their spare tire wrapped around their shoulders.

The 1930s saw further commercialization of the Tour with some radical changes compared to the competition in the 1920s. Cycle manufacturers' teams were replaced by national squads of eight riders, picked by Tour inventor Henri Desgrange and paid by the Tour. Everyone would ride identical bikes. And the publicity caravan was introduced to make up the cash shortfall from the absence of the cycle-makers and their teams.
Until 1937, the derailleur systems allowing riders to change gears without removing their wheels were not allowed despite them being widely used by the public. This left riders to get off and turn their wheel around every time the road changed from uphill to downhill.


Federico Ezquerra from Spain in the Tour of 1934.


Cover of VU magazine, 30 July 1930


1930s conté crayon drawing by René "Pellos" Pellarin.


André Leducq won the Tour de France in 1930 and 1932.


1930s Art Deco design by A. M. Cassandre for Dubonnet showing a tour racer sipping the light and refraissant French aperitif.


In stage 16 of the 1930 Tour Benoit Faure and André Leducq approach the summit of the Col du Galibier.


Antonin Magne on the downhill from the Tourmalet in 1930.


Gino Bartali (right) and a French rider in the 1930 Tour.


André Leducq and Adolf Schoen in 1930.

Friederike (Friedl) Reichler, 1922


Friederike (Friedl) Reichler, die spätere Frau Joseph Roths, im Jahre 1922.

Soma Morgenstern schrieb in seinem Buch "Joseph Roths Flucht und Ende": “Sie war ein hübsches Mädchen, die Friedl. Schlank, mit langen Beinen, einem feingeschnittenen Gesicht, und einem süffisanten Lächeln um den kleinen Mund.“

Ein Friedl gewidmeter Artikel von Andreas Hutter in der NZZ vom 7. März 2011 hier.

Blue Flamingo CD Cover



Cover einer kuerzlich entdeckten CD "with three musical journeys compiled by Ziya Ertekin alias Blue Flamingo" (Excelsior Recordings).

Ruth von Morgen von Marianne Breslauer

Marianne Breslauer: Ruth von Morgen

Kühne Avances

Die kleinste, die geringste ihrer Handlungen und Gesten rührte mich tief, denn ich fand, daß jede Bewegung ihrer Hand, jedes Kopfnicken, jedes Wippen ihres Fußes, ein Glätten des Rocks, ein leises Hochheben des Schleiers, das Nippen an der Kaffeetasse, eine unerwartete Blume am Kleid, ein Abstreifen des Handschuhs eine deutliche und unmittelbare Beziehung zu mir verrieten – und nur zu mir. Ja, aus manchen Anzeichen, die zu jener Zeit wohl schon zur Gattung der sogenannten „kühnen Avances“ gezählt werden mochten, glaubte ich mit einigem Recht entnehmen zu müssen, daß die Zärtlichkeit, mit der sie mich anblickte, die scheinbar unwillkürliche und höchst zufällige Berührung meines Handrückens oder meiner Schulter, bindende Versprechungen waren, Versprechungen großer, köstlicher Zärtlichkeiten, die mir noch bevorstünden, wenn ich nur mochte, Vorabende von Festen, an deren kalendarischer Sicherheit gar nicht mehr zu zweifeln war.
Joseph Roth, Die Kapuzinergruft, S. 20

Madame Chauchat (2)

Es kam zu folgendem. In einer Eßpause wandte Frau Chauchat sich nachlässig um und musterte den Saal. Hans Castorp war auf dem Posten gewesen: ihre Blicke trafen sich. Indes sie einander ansahen – die Kranke unbestimmt spähend und spöttisch, Hans Castorp mit erregter Festigkeit (er biß sogar die Zähne zusammen, während er ihren Augen standhielt), - will ihr die Serviette entfallen, ist im Begriffe, ihr vom Schoße zu Boden zu gleiten. Nervös zusammenzuckend greift sie danach, aber auch ihm fährt es in die Glieder, es reißt ihn halbwegs vom Stuhle empor, und blindlings will er über acht Meter Raum hinweg und um einen zwischenstehenden Tisch herum ihr zu Hilfe stürzen, als würde es eine Katastrophe bedeuten, wenn die Serviette den Boden erreichte… Aber aus ihrer gebückten Haltung, überquer zu Boden geneigt, die Serviette am Zipfel und mit verfinsterter Miene, offenbar ärgerlich über die unvernünftige kleine Panik, der sie unterlegen und an der sie ihm, wie es scheint, die Schuld gibt, - blickt sie noch einmal nach ihm zurück, bemerkt seine Sprungstellung, seine emporgerissenen Brauen und wendet sich lächelnd ab.
Thomas Mann, Der Zauberberg, S. 199

Madame Chauchat (1)

Statt aber zum Guten Russentisch zu gehen, bewegte die unerzogene Frau sich ohne Laut auf Hans Castorp zu und reichte ihm schweigend die Hand zum Kusse, - aber nicht den Handrücken reichte sie ihm, sondern das Innere, und Hans Castorp küßte sie in die Hand, in ihre unveredelte, ein wenig breite und kurzfingrige Hand mit der aufgerauhten Haut zu Seiten der Nägel.
Thomas Mann, Der Zauberberg, S. 130

Montag, 18. Juli 2011

Joeph Roth und Otto von Habsburg




Zum Tod von Otto von Habsburg am 4. Juli 2011 ein Foto von Joseph Roth aus 1926, aufgenommen während seiner journalistischen Reise durch Rußland. In seinem Werk "Radetzkymarsch" beschreibt er den Tod Kaiser Franz Josephs. Seine Romanfigur Baron von Trotta stirbt kurz nach dem Herrscher. Von 1916 bis 1918 war Otto von Habsburg Kronprinz Österreich-Ungarns, bis 1921 Kronprinz Ungarns.