Die Bühne, 1929, Quelle: JMW
Heute würde Trude Fleischmann ihren 117. Geburtstag feiern. Aus diesem Anlaß wollen wir hier die hervorragende Biografie von Annette Bußmann wiedergeben (siehe: FemBio mit weiterführenden Links und Literaturhinweisen).
Annie Schulz: Trude Fleischmann, Wien 1929 |
»Sie sind aber furchtbar langsam« brüskierte die gefeierte Wiener Fotografin Madame d’Ora (1881-1963) ihren neu gewonnenen Schützling Trude Fleischmann. Damals, 1916, konnte Madame d’Ora kaum ahnen, dass ihr barscher Unterton die 14 Jahre jüngere, angehende Fotografin flugs aus dem Atelier katapultieren würde.
Nicht ahnen konnte sie, dass die für phlegmatisch gehaltene Praktikantin dank vorbildlichen Geschäftssinns, berührender Portraits und skulpturaler Aktaufnahmen in ferner Zukunft als »Leitfigur der künstlerischen Portraitfotografie« im Wien der 1920/30er Jahre hofiert werden würde. Kaum vorhersehen konnte sie, dass der zusehends brutaler geratende Antisemitismus beiden – Fleischmann und d’Ora entstammten jüdischen Familien – zwei Jahrzehnte später beinahe alles nehmen würde: 41 Negative trug Fleischmann bei sich, als sie sich 1939 ins New Yorker Exil rettete. Und obwohl ihr in den USA vergleichsweise rasch eine zweite Fotografinnen-Karriere glückte, vergingen mehrere Jahrzehnte, bis Westeuropa sich ihrer ehemaligen Bekanntheit erinnerte: Erst seit den 1980er Jahren, seit die hartnäckig als »Unkunst« gescholtene Fotografie im größeren Stil zum Ausstellungssujet erhoben und als lukratives Auktionsobjekt identifiziert wird, fiel und fällt Trude Fleischmanns Name wieder häufiger. Im Gegensatz zur 1963 verstorbenen Madame d’Ora, durfte Fleischmann 1988 sogar noch ihre erste eigene Wiener Retrospektive miterleben. Gleichwohl ist ein Großteil ihres Werkes bis heute unbekannt.
»Ein kleines, dickes rundes Mädel« sei sie gewesen, bekannte Fleischmann, 80-jährig, im Schweizer Lugano. Ihr Gehör hatte sie inzwischen eingebüßt, nicht aber ihren Humor. Schon mit neun Jahren habe sie sich eine Kamera gewünscht, erzählte sie. Weniger des Fotografierens wegen. Sondern weil ihre vergötterte Cousine eine besaß. »Sie hatte alles, was ich nicht hatte.« Und tatsächlich fand Fleischmann noch im selben Jahr eine Kamera auf dem weihnachtlichen Gabentisch. Die wohlhabenden Eltern liebten und förderten sie, die Zweitgeborene von insgesamt drei Kindern, wo sie konnten. Vater Wilhelm war Kaufmann. Mutter Adele, geb. Rosenberg, bewunderte die Tochter als »ungeheuer kluge Person«.
Zwölf Jahre später umschwärmte Fleischmann Madame d’Ora und ihr elegantes Atelier in der Wipplingerstraße. Ende 1916 fieberte D’Ora einem ersten Karriere-Höhepunkt entgegen: Sie durfte Kaiser Karl I. Krönung zum König von Ungarn fotografieren. Fleischmann aber war von d’Ora nach nur zwei Wochen Praktikum auf ganzer Linie enttäuscht: Bevor sie bei ihr startete, boxte sie sich durch ein Semester Kunstgeschichte in Paris und drei Jahre Fotografinnen-Ausbildung an der Wiener k.u.k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren. Nun, als 21-Jährige, gierte sie nach Berufspraxis. Doch d’Ora verdammte sie zum bloßen Retuschieren.
Ernüchtert wechselte Fleischmann zu Hermann Schieberth an den Wiener Opernring. Drei Jahre blieb sie dort. 1920 endlich, mit 24 Jahren, bezog sie ihr erstes eigenes Atelier, im teuren Ersten Wiener Bezirk, in der Ebendorfer Straße 3. Die Zeichen der Zeit luden nicht zwingend zu waghalsigen Unterfangen dieser Art: (Noch) bildeten Frauen unter den Fotoatelier-BesitzerInnen eine Ausnahme. Obendrein war die Armut groß – zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie galt Wien noch immer als »das fidele Grab an der Donau«. Aber Fleischmanns warmherziges, offenes Naturell, ihr ausgeprägter Sinn für förderliche Kontakte, ihre rauschenden Atelierfeste und ihre werbewirksamen Ausstellungen verhalfen ihr – gepaart mit einer ordentlichen Portion fotografischen Talents – rasch zu einem repräsentationswütigen soliden KundInnenstamm.
Fleischmann verstand sich von Anbeginn als Fotografin künstlerischen Anspruchs, nicht als Handwerkerin: Laufkundschaft, die ihr heute ein Hochzeits-, morgen ein Kommunionsfoto abverlangte, war ihr unvorstellbar. Sie wollte keine Fließbandaufnahmen. Vor allem Portraits liebte sie, persönliche Bilder ohne oktroyierte Posen oder maskenhaften Statusdünkel.
Oberstes Ziel war ihr der innige Kontakt zu KundInnen der Tanz-, Theater- und Kunstwelt, zu Adolf Loos, Karl Kraus, Alban Berg. Wien, seit 1919 sozialdemokratisch regiert, galt damals als heimliche Theaterhauptstadt Europas. MimInnen-Portraits im handlichen Visiten- und Postkartenformat waren begehrte Sammelobjekte, und Fleischmanns Atelier war wiederum bei den MimInnen beliebt. Vor allem zu Max Reinhardts Theater in der Josefstadt unterhielt Fleischmann Kontakte. Paula Wessely, Helene Thimig frequentierten ihr Geschäft.
Anders als ihre deutsch-niederländische Kollegin Germaine Krull war Fleischmann kaum darauf erpicht, als Paukenschlag der Innovation in die Fotogeschichte einzugehen. Natürlich, in den 1930er Jahren zeigte auch sie sich mit vogelperspektivischen Schrägen und verwunderlichen Bildausschnitten markant vom sogenannten Neuen Sehen inspiriert. Auf das Wahrzeichen der selbst- wie fremdernannten Avantgarde aber, die Insignien der roboterhaft mechanisierten Welt, stoßen Mann und Frau – zumindest in Fleischmanns bislang bekanntem Oeuvre – selten. Fleischmanns Lieblingsgenre waren die Menschen, die sie mit relativ konventionellen Mitteln ablichtete. Im Gegensatz zu ihrer mobilen Kollegin Lotte Jacobi portraitierte sie ihre KundInnen nicht in deren Theatern oder Privatwohnungen. Ihr Werk der 1920er Jahre entstand hauptsächlich im Atelier – mit Kunstlicht und Glasplattenkamera. Im Freien fing sie zu diesem Zeitpunkt bestenfalls Bilder für Reisereportagen ein. Dann allerdings spannte sie – technisch absolut en vogue – eine zweiäugige Rolleiflex ein.
Fleischmanns Bekenntnis zur Moderne bestand weniger in der Lust am exaltierten Experiment als im Faible für unkonventionelle ZeitgenossInnen. Sie verehrte die Frauenrechtlerinnen Marianne Hainisch oder Rosa Mayreder, hofierte manche schräge Opern- und Tanzdiva. Wen sie nicht mochte, hieß es, fotografierte sie nicht. »Die Menschen sind, wie sie ausschauen«, sagte sie und begab sich damit in den Ruch morphologiegläubiger Studien des 18. Jahrhunderts. Nichtsdestotrotz, sie wollte die vermeintlich individuellen Charakterzüge ihrer KundInnen ergründen, sie in ihren Fotos mit klarer, schnörkelloser Sprache und befreit von abgedroschenen Requisiten spiegeln.
Mächtig angetan zeigte sie sich vor allem von der Tänzerin Grete Wiesenthal. Wiederholt portraitierte sie sie, adelte sie zur »beste(n) Tänzerin, die es je gegeben« habe. Paradigmatisch für Fleischmanns Portraits jener Phase steht Wiesenthals Gesichtsstudie von 1929. Zeittypisch verquickt sie hier Nähe und Distanz, wählt einen Bildausschnitt, der Wiesenthals Gesicht aus frontalster Nähe zeigt und doch zugleich die BetrachterInnen auf Abstand hält. Denn Wiesenthals introvertierter Blick, die eingeschobene, abstandsgebietende Hand und die – ihrerzeit in radikal-modernen Kreisen hochverpönte – fotografische Unschärfe am linken Bildrand entrücken die Portraitierte in scheinbar nebulöse Sphären.
Fleischmanns gefühlsbetonte Portraits verkauften sich sehr gut. Dank der verbesserten Foto-Reproduktionstechniken gründeten junge Verlage in den 1920ern scharenweise üppig bebilderte Magazine und waren beständig auf der Suche nach frischem Bildmaterial. Fleischmann arbeitete für den Uhu, die Bühne, die Moderne Welt. Sie beteiligte sich an internationalen Ausstellungen »Film und Foto« (1929) und belieferte die europaweit verzweigte Agentur Schostal mit Modefotos.
Trude Fleischmann, Aktstudie 1925 |
»Sie ist nicht nackt, wie sie ist. Sie ist nackt, weil der Betrachter sie sieht«, fasste der Kunsthistoriker John Berger vor knapp vierzig Jahren die Geschichte des Frauenakts zusammen und prangerte damit die Herabwürdigung unbekleideter Frauenkörper zu Fetischen voyeuristischer BetrachterInnen an. Allerdings – als Fleischmann 1925 die Tänzerin Claire Bauroff nach einem Gastspiel als muskelbepackte, nackte Heldin mit antikisch marmorglänzender Haut auf dunkel betuchter Liege inszenierte, wollte sie damit keinesfalls auf ausgetretenen Herren-Pfaden lustwandeln. Im Gegenteil. Die leidenschaftliche Naturliebhaberin, Wanderin und Skifahrerin Fleischmann war betört von der Lebensreformbewegung. Der Malerin Paula Modersohn-Becker ähnlich, deutete sie Nacktheit, erst recht den Nackttanz, als Rebellion gegen die beklemmend körperfeindlichen Konventionen des 19. Jahrhunderts.
Fleischmann war eine der ersten Wiener Fotografinnen – wenngleich, neben Pepa Feldscharek, Marianne Blumberger oder Grete Kolliner keineswegs die einzige –, die sich dem Frauenakt verschrieb. Noch eine halbe Generation vor Fleischmann war es hochunschicklich, als Künstlerin Akte zu produzieren. Nicht nur im Bayerischen Abgeordnetenhaus diskutierte Mann sich die Kehle heiser, wie diesem »Unfug ... Frauenpersonen nach Nuditäten« malen oder zeichnen zu lassen, der unwiederbringliche Garaus zu bereiten wäre. Im Gegenzug schwebte die US-amerikanische Tänzerin Isadora Duncan bald darauf barfüßig, und ihres Korsetts entledigt, als bejubelter Inbegriff eines neuen, selbstbestimmten weiblichen Körpergefühls über Europas Bühnen. 1902 gab sie ihr Debut in der Wiener Secession und inspirierte eine ganze Generation junger Frauen, es ihr nachzutun. In den 1920er Jahren ließen dann Lola Bach oder Anita Berber fast alle Hüllen fallen. Interessanterweise ging auch Claire Bauroff dank Fleischmanns Studioaufnahmen als Nackttänzerin in die Geschichte ein, obwohl sie selten unbekleidet auftrat.
Dennoch: Was nutzt die schönste Nackttanz-Ideologie, wenn ihre BetrachterInnen ans 19. Jahrhundert gedübelt scheinen? Als Fleischmanns Bauroff-Fotos in Berlin enthüllt wurden, konfiszierte sie umgehend ein Anwalt. »Prädikat: Zu anstößig«. Göttlich doppelmoralisch boomte parallel zu diesem Akt der Sitte das Geschäft mit entindividualisierten, nackten Frauenkörpern wie nie zuvor: Seit Mitte der 1920er Jahre druckten Magazine dutzendweise Aktfotos ohne die bis dahin zwangsverordneten moralisierenden Alibi-Kommentare. Und in den Varietés hopsten halbnackte »beinwerfende Automaten«, wie Josephine Baker die britischen Tiller Girls titulierte, über die Bühne, während James Klein mit Stücken wie »Zieh Dich aus« und »Tausend nackte Frauen« frohlockte.
»Ich fand’s ja wunderschön«, erinnert sich Fleischmann an Paris: Nachdem die Deutschen 1938 Österreich annektierten, floh sie zu FreundInnen an die Seine. Viel zu lange hatte sie den Ernst der politischen Lage geleugnet, verdrängt, beschönigt. »Ich wollte nicht sehen, was sie sahen«, umschrieb die Wiener Pazifistin und Kommunistin Hermi Hirsch (1924-1990), ebenfalls Jüdin, die ebenso verständliche wie verbreitete Flucht in die Verdrängung. Längst hatten viele KundInnen und FreundInnen Österreich den Rücken gekehrt.
Doch Fleischmann verharrte in Wien. Selbst als mit der Annektierung Österreichs die komplette Kundschaft wegblieb, suchte sie sich mit Fotokursen über Wasser zu halten. Als sie endlich begriff, dass ihre Heimat ihr jedwede Zukunft verwehrte, war der Schmerz groß, »… irgendwie hatte ich ein gebrochenes Herz«. Ein gut funktionierendes soziales Netzwerk war schon für eine Inhaberin eines Fotogeschäfts in teuerster Lage unabdingbar. Der Konkurrenzdruck im Zwischenkriegs-Wien war beträchtlich. Nun aber rettete Fleischmanns vielbeschworene Kontaktfreude ihr buchstäblich das Leben: Eine ehemalige Praktikantin, die US-Amerikanerin Helen Post, besorgte ihr ein US-Visum.
1940 eröffnete Fleischmann – inzwischen 45-jährig – in Manhattan, 127 West 56th Street, ein Atelier für Mode- und Portraitfotografie. Wieder arbeitete sie für Zeitschriften. Keck schickte sie Vogue-Models über die Brooklyn Bridge, fertigte Portraits von ExilantInnen, von Elisabeth Bergner, Albert Einstein, Lotte Lehmann. Fleischmann gelang eine zweite, kleine Karriere. Das Metropolitan Museum, das MoMA, die New York Public Library und das Leo Baeck Institut kauften später ihre Werke.
Extra aus Lugano/Schweiz, wo sie seit 1969 lebte, wurde Fleischmann 1985 zu ihrer ersten Retrospektive eingeflogen. Nicht Wien, sondern New York feierte die Künstlerin zu ihrem 90. Geburtstag. Dank kräftiger Werbung platzte der Schauplatz des Jubiläums, die kleine New Yorker »Gallery at the Austrian Institute« fast aus allen Nähten. Bis sich ihre Heimatstadt Wien ihrer großen Fotografin besann, vergingen indes drei weitere Jahre. »… die Wiener haben sich schlecht benommen«, resümiert Fleischmann 1986 mit Blick auf den Austrofaschismus. Schon 1942, zum Kriegseintritt der USA, nahm sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an, obwohl sie, nach eigenem Bekunden, Wien sehr liebte. 1983 stattete sie der Stadt einen kurzen Besuch ab, befand, nun habe sich »der Groll gelegt«.
In Österreich wohnen aber wollte sie nie mehr, »… dass ich dort wieder leben möchte: nein!«, sagte sie. Und so starb sie, 94-jährig, tausende Meilen von ihrem Geburtsort entfernt, in Brewster im Staate New York.
Text: Annette Bußmann
Über
das Museum Wien ist das Buch “Der selbstbewußte Blick” von Anton Holzer (Hg.)
und Frauke Kreutler zur Ausstellung aus 2011 erhältlich (siehe hier).
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