Montag, 2. Juni 2014

Zum Grab von Joseph Roth


Weit, ganz weit entfernt vom Zentrum der Stadt liegt der Friedhof. Fern vom linken Ufer der Seine und vom Café Tournon und dem Platz, auf dem einst das Hotel Foyot stand, den man nach dem Abriss des Hotels mit ein paar Bäumen und einem ausdruckslosen  Gebäude gefüllt hat. Wie eine schmerzende Zahnlücke mit einer billigen Plombe.

Zu diesem weit entfernten  Friedhof führt eine Linie der Métro. Auf dem Plan ist sie ein langer, schnurgerader Strich Richtung Süden. Fast scheint sie bis Marseille zu reichen, und endet doch in einem Pariser Vorort. Viele kleine Kreise auf der Linie stehen für viele Stationen. Man muss nicht aufpassen, wann man aussteigen muss, denn man fährt bis zur Endstation.

Dort steigt man in die neue Straßenbahn, die silbern und stromlinienförmig einem Train à Grande Vitesse gleicht, und doch nur eine Haltestelle nach der anderen durch die Vorstadt abklappert. Vorbei an Wohnhäusern, Tankstellen, niedrigen Wohnblöcken, Lagerhallen, Autohändlern und Einfamilienhäusern.

Man steigt beim McDonald’s aus, gegenüber dem Friedhofseingang. Nicht ein Kreuz auf einem Kirchturm wacht über die Toten, sondern ein riesiges, meilenweit in den Himmel ragendes und golden strahlendes „M“.

Um in den Friedhof zu gelangen, muss man einen Wächter und einen Schlagbaum passieren. Wie an einem Grenzübergang. Kontrolliert und instruiert spaziert man durch eine breite, lange Allee. Wäre sie nicht so ausgestorben, könnte man sich im Wiener Prater wähnen. Ein Stück Heimat für den in der Fremde Verstorbenen.
 
Das Grab ist leicht zu finden. Mit seinem grünen Eibenbäumchen sticht es aus dem See aus grauen Gräbern mit schiefen oder umgefallenen Grabsteinen und eingebrochenen Grabdeckeln. Es ist ein maßloses, überdimensionales Bäumchen, das aus dem Fußende des Grabes das aufgewühlte, wogende Gräbermeer überschaut.

Der Stein des Grabes ist glatt und schwarz-grau-weiß gesprenkelt und sogar noch charmeloser wie das Haus, das man an die Stelle des Foyot gesetzt hat. Zwei Mal schon hat man das Grab erneuert. Dennoch ist die Inschrift verblasst. In gravierten Buchstaben aus erlöschendem Gold steht geschrieben:

JOSEPH ROTH

ECRIVAIN AUTRICHIEN

MORT A PARIS EN EXIL

2.9.1894 – 27.5.1939

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Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ein falscher Geburtstag in den Stein graviert wurde. In der stümperhaften Ausbesserung des Fehlers sind noch die falschen Zahlen zu erkennen. Einem Mann, der aus seiner Herkunft ein Leben lang eine Legende gemacht hat, hat man ein undeutliches Geburtsdatum geschenkt.

Vor 75 Jahren wurde hier gebetet und gestritten. Juden und Katholiken, Kommunisten und Monarchisten wollten alle einen Anteil am Ruhme Roths. 2014 trennt uns Besucher des Grabes nichts, sondern sind wir vereint in der Verehrung eines ganz wunderbaren Schriftstellers und Journalisten.


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Hier einige ausgewählte Fotos des Besuchs von Joseph Roths Grab am Cimetière Parisien de Thiais mit der Internationalen Joseph Roth Gesellschaft am 28. Mai 2014. Die ganze Serie findet sich hier.












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