Er offenbarte sich bisher bloß
darin, daß die Kaffeesieder Preise trieben,
die tägliche Ausgabe für Frühstück
und Jause in die Höhe schoß,
im »Schwarzen« lenzlichgeheime
Säfte goren, die Ausbeutung des Publikums
ungeahnte Blüten trieb und
das Geschäft überhaupt florierte.
So sieht der Wiener
Kaffeehausfrühling aus. In der letzten Woche kam
noch ein Neues hinzu: Schani trug
den Garten hinaus. Der »Garten«
besteht aus ein paar Latten und
Dielenbrettern, die wohlverwahrt auf
dem Dachboden Winterschlaf
hielten, und einem Gitter aus Drahtgeflecht
oder Eisen. Ein besonderes
Zuvorkommen dem Mai und den
Gästen gegenüber bedeuten noch
einige Blumentöpfe und jene grünen
Zweige, auf die in diesem abnorm
kalten Frühjahr nur die Kaffeesieder
kamen. Und somit ist alles für die
Sonne gerüstet, die leider »infolge
Ausbleibens wichtiger
meteorologischer Nachrichten« von der Sternwarte
nicht angekündigt werden kann und
sich ohne zuverlässige Prognose
nicht recht aus den Wolken
hervortraut ...
Sieht man diese gottverlassenen
Cafeveranden an, so drängt sich einem
fast unwillkürlich der Vergleich
auf mit nie erfüllten Friedensträumen,
verregneten Aussichten und
verschnupften Weltlagen. Diese umgekehrten
Tische mit den umgestülpten
Korbstühlen, die vor Nässe weinen,
sehen einer verkehrten Welt
verzweifelt ähnlich, in der alles auf
dem Kopf stünde, wenn auch nur
etwas einen Kopf hätte. Die Luft, die
man eigentlich von Rechts wegen
hier draußen genießen sollte, ist erfüllt
mit Kriegsberichten, die von den
Friedenskonferenzen kommen,
und das Eis, das in normalen
Zeiten hier geschluckt werden würde,
hält leider immer noch die Herzen
der Menschen krampfhaft umschlossen.
So wird, was dereinst Fortsetzung
gemächlichen Familienlebens
und gemütlicher Tarockpartien auf
die Straße war, heute eine
recht ungemütliche Verquickung
einer ungemütlichen Öffentlichkeit
mit privaten Familiensorgen. Die
Kaffeehausterrasse ist heute nur
mehr ein überflüssiges Requisit
aus besseren Zeiten und obendrein
noch ein Verkehrshindernis wie
Straßenbahn, Post, Telephon und andere
»Verbindungsmittel«. Für
Kaffeesieder hat sie allerdings einen
Vorteil: Sie ermöglicht ihnen,
unangenehme Stammgäste, die über die
Preis erhöhung schimpfen, auf
glatte Weise und im wahrsten Sinne des
Wortes - an die Luft zu setzen ...
Josephus
Joseph Roth in Der Neue Tag, 23.
Mai 1919
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