Sonntag, 1. Januar 2012

Joseph Roth im Café Le Tournon, 1938


Joseph Roth (rechts) mit Joachim Dohrn, Germaine Alazard, Herrn Zilz im Pariser Café Le Tournon, 1938. Sammlung Senta Lughofer, Linz.

1938. Josef Roth am Kaffeehaustisch. Wie Zeit seines Lebens. Umringt von Freunden und Bekannten. Diskutierend, schreibend. Diese unglaubliche Gabe, in diesem Gewurl schreiben zu können. Seine besten Werke schreibt er in der Öffentlichkeit.
Zu dieser Zeit ist Roth schon stark gezeichnet vom Alkohol. Es sind die letzten Monate seines Lebens (er stirbt am 27. Mai 1939). Er ist körperlich am Ende. Dazu kommen Schreckensmeldungen aus Deutschland und Österreich. Der “Anschluß” Österreichs wird am 13. März 1938 vollzogen. Zehntausende jubeln Hitler am Wiener Heldenplatz zu. Die Welt schaut tatenlos zu.
Roth ist damit endgültig von Wien und seiner psychisch schwer kranken Frau getrennt (Friedl wird schließlich im Juli 1940 von den Nazis in der Vernichtungsanstalt Hartheim bei Linz ermordet). Mit dem Anschluß platzen die letzten Hoffnungen Roths. Hoffnungen, die eigentlich ohnehin nur Seifenblasen waren, die fixe Idee, das alte Österreich unter den Habsburgern könnte wiederauferstehen.
Dafür war Roth sogar kurz vor dem Anschluß, Ende Februar bis Anfang März 1938, noch nach Wien gereist. Um im Auftrag der Legitimisten bei Bundeskanzler Schuschnigg zugunsten einer Regierungsübernahme durch Otto von Habsburg zu intervenieren. Mit leeren Händen kehrte er ins Pariser Exil zurück.

Aber auch dort hat Roth vor kurzem ein anderes Zuhause verloren: sein geliebtes Hôtel Foyot wurde 1937 abgerissen. Auch dies ein schwerer Schlag. Er beschreibt den Abriss und seine Gefühle aus dem gegenüberliegenden Café: “Jetzt sitze ich gegenüber dem leeren Platz und höre die Stunden rinnen. Man verliert eine Heimat nach der anderen, sage ich mir. … Das Elend hockt sich neben mich, wird immer sanfter und größer, der Schmerz bleibt stehen, wird gewaltig und gütig, der Schrecken schmettert heran und kann nicht mehr schrecken.”

Nun wohnt er im Hôtel de la Poste, zumindest in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Foyot auch in der Rue de Tournon gelegen, und zusammen mit wichtigen Freunden wie Soma Morgenstern.

Finanziell kämpft Roth weiterhin ums Überleben. Trotz seiner eigenen Geldnot bleibt er weiterhin Emigranten unterstützen.

Es ist für mich ein Wunder, daß trotz dieser schweren körperlichen, psychischen, finanziellen und politischen Umstände Roth an so beeindruckenden Werken wie der "Legende vom heiligen Trinker" schreiben kann. In dieser Atmosphäre entsteht Ende November 1938 in Paris die berühmte Zeichnung von Mies Blomsma. Roth kommentiert sie mit “Das bin ich wirklich; böse, besoffen aber gescheit. Joseph Roth.” Mies Blomsma hatte Roth zusammen mit ihrem Freund Gerth Schreiner in Paris aufgesucht. Ein Artikel dieses Zusammentreffens erschien im der niederländischen Zeitung “Het Volk”.


Mies Blomsmas Porträt von Joseph Roth, Paris, November 1938.


Joseph Roth im Café Le Tournon, Paris, 1938. Sammlung Senta Lughofer, Linz.

Im Spätherbst reist Roch nach Amsterdam, um mit dem Verlag de Lange zu verhandeln. Er steigt im Hotel Eden ab. Das schicke Hotel Americain am Leidseplein kann er sich nicht mehr leisten. Fritz Landshoff schreibt: “Joseph Roth verbrachte einen großen Teil des Tages im Hotel, vom frühen Morgen an schreibend und rauchend und trinkend. Er hatte schon geraume Zeit vor dem Exil in Berlin das Essen nahezu aufgegeben. … Ich suchte ihn im Hotel auf, abends oft im Café Reynders, manchmal im Hotel Americain oder bei Keizer. Von allen Autoren, die Deutschland verlassen hatten, war er einer der sehr wenigen, der (obgleich er niemals auch nur versucht hatte, ein Wort holländisch zu lernen) Kontakt mit einigen holländischen Autoren hatte.” – Fritz H. Landshoff: Amsterdam, Keizersgracht 333.

Ende Dezember 1938 erscheint "Die Kapuzinergruft" im niederländischen Verlag "De Gemeenschap". In der Kapuzinergruft wird die Familiengeschichte der Trottas aus dem “Radetzkymarsch” in die Zwischenkriegszeit bis an den Anschluß fortgesponnen. In Anbetracht der politischen Entwicklungen hatte Roth auf eine Vorverlegung des Erscheinungsdatums dieses Romans gedrängt. Dafür wird die Publikation der 1938 (endlich – weil schon 1936 begonnen und immer wieder vom Verlag eingefordert) fertigen "Geschichte von der 1002. Nacht" bis 1939 aufgeschoben.


Einband von "Die Kapuzinergruft" aus dem Verlag De Gemeenschap, Bilthoven, Niederlande.

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