Dienstag, 27. Mai 2014

Joseph Roth zum 75. Todestag


Joseph Roth: Die Legende vom heiligen Trinker, erste Ausgabe 1939.


Zum 75. Todestag Joseph Roths, er starb am 27. Mai 1939 in Paris, wollen wir den Umschlag seines allerletzten Werkes zeigen. "Die Legende vom heiligen Trinker" erschien posthum bei Roths Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange. Obwohl nicht autobiografisch, sind doch im Trinker Andreas Joseph Roth selbst und im distinguierten Herrn sein Freund und Unterstützer Stefan Zweig zu erkennen. Roth beschließt die Erzählung mit dem Satz:

"Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod."

Seinem literarischen Schöpfer war weder ein leichter, noch ein schöner Tod beschieden. Mit Andreas teilte er nur den Anfang vom Ende: beide sollten sie in einem Café zusammenbrechen. In Paris, unter Freunden, trinkend.

Andreas, der mit seinem Freund Woitech am Trinken war, glaubte in dem kleinen Mädchen Therese seine heilige Gläubigerin zu erkennen. Als er sie anspricht, ereignet sich das sovielste Wunder der Legende. Therese schenkt ihm zweihundert Francs, worauf Andreas kollabiert.

Der Auslöser des Zusammenbruchs von Joseph Roth war kein Wunder, sondern ein ganz realer, weiterer Schicksalsschlag, ein letzter Anschlag auf den gepeinigten Körper und Geist: er erfuhr vom Selbstmord seines Freundes Ernst Toller. Der sovielste schmerzhafte Verlust in dieser so verlustreichen Zeit.

Woitech und andere Besucher des Cafés trugen Andreas in die Sakristei der gegenüberliegenden Kirche, wo er still seinen letzten Atemzug tat. An seiner Seite die kleine Therese. In seiner linken Brusttasche die geschuldeten zweihundert Francs.

Joseph Roth brachten seine Exilfreunde in ein Armenhospital, wo man ihn an ein Bett fesselte. Tagelang brüllte er nach Alkohol und rang mit dem Tod. Man muss kein Alkoholiker sein, um sich die Qualen eines solchen irrsinnigen Radikalentzuges vorstellen zu können. Delirium Tremens.

Per Post unterwegs zu Roth waren die Druckabzüge der Legende vom heiligen Trinker. Sein Verleger in Amsterdam, Walter Landauer, hatte keine Ahnung vom Leiden seines Autors, als er die Abzüge nach Paris schickte. Was wäre gewesen, wenn sie ein paar Tage früher in Paris angekommen wären? Wenn Roth sie am Kaffeehaustisch vorgelesen hätte, die Geschichte von Andreas, von seinem leichten und schönen Tod in der Sakristei? Hätte man den ohnmächtigen Joseph Roth anstelle ins Hôpital Necker in die Kirche gebracht? An seiner Seite seine Freunde. In seiner linken Brusttasche die Abzüge mit der Legende vom Heiligen Trinker?

Samstag, 24. Mai 2014

"De Volkskrant" wandert zu Orten Joseph Roths in Amsterdam



In der heutigen Ausgabe der niederländischen Zeitung “De Volkskrant” schreibt Joris van Casteren auf vier Seiten über seinen Spaziergang mit der Joseph Roth Genootschap durch Amsterdam. Orte wie das Hotel Eden, in dem Roth auf seinen Besuchen mehrmals wohnte, und das heute einen Coffeeshop herbergt, werden aufgesucht. Ganze vier Seiten widmet die Volkskrant an Joseph Roth!


Joseph Roth in Ostende: Programm zur Veranstaltung am 1. Juni 2014

Alle Informationen zur Hommage an Joseph Roth in Ostende hier.


Peter van Hugten: Joseph Roth


Info

Geert Mak, Stefan Hertmans, Arnon Grunberg, Tom Lanoye, Els Snick, Pierre Bokma, Elsie de Brauw, Gene Bervoets, Ans van den Eede en Seppe Decubber brengen een ode aan Joseph Roth. Joseph Roth (1894-1939) was journalist en schrijver van onder meer Radetzkymars en Job en van talrijke krantenreportages.

Meer info

Het belang en de schoonheid van zijn teksten staan vijfenzeventig jaar na zijn dood nog pal overeind. Deze middag is een literaire manifestatie rond het werk van een de belangrijkste Europese auteurs, die in de jaren dertig vele maanden in Oostende heeft verbleven. Johan Simons regisseert een keuze uit Roths teksten die gebracht worden door Vlaamse en Nederlandse auteurs en muzikanten van de Münchner Kammerspiele. De dramaturgie is in handen van Koen Tachelet en Els Snick.

Tickets: 13 euro (excl. 1 euro handelingskost) / via UiTloket Oostende, H. Serruyslaan 18A / 059 33 90 00

Bestel hier tickets

Om 18u onthulling van een plaquette (die herinnert aan Roth en Zweigs passages) in Brasserie Du Parc, met Geert Mak, Geert van Istendael, Grunberg, Lanoye, Hertmans, het Oostenrijkse Joseph Roth Genootschap, het Stefan Zweig Genootschap en nog heel veel anderen.
Nikolaj Tschechow: Anton Tschechow. Quelle: antonchekhov

Freitag, 23. Mai 2014

Wanda Wulz, Triest 1932

Wanda Wulz: Io + gatto (Ich + Katze), 1932

England 1939 in Farbe

Farbaufnahmen aus dem ländlichen England 1939. Die ganze Serie ist hier zu sehen.










Von Zäunen und anderen Grenzen: mein Joseph Roth (Teil 2)


Persönliche Notizen anlässlich des 75. Todestages Joseph Roths am 27. Mai und seines 120. Geburtstages am 2. September.

Mitte der Zwanzigerjahre treffen wir Joseph Roth in Berlin. Eine steile Karriere hat er gemacht, vom mittellosen Kriegsheimkehrer in Wien zu einem der bedeutendsten Journalisten im deutschsprachigen Raum, der sich auch erste Sporen als Romancier verdient hat. Schnell hat er mit dem Charme eines Wieners in den Cafés Kontakte geknüpft, hat sich als harter Arbeiter, scharfer Beobachter und sozialkritischer Analyst mit brillanten Essays einen Namen gemacht. Für die bedeutendsten Zeitungen zeichnet Joseph Roth das Gesicht der Zeit, wie er es selbst nennt.

Wien zu verlassen war die richtige Entscheidung gewesen. Zu talentiert, ambitioniert und entschlossen war er für das Bruchstück, das von Österreich übrig geblieben war, nachdem der Kaiser tot, der Krieg verloren und die Siegermächte in Versailles Europa und das Habsburgerreich neu aufgeteilt hatten.

Man schickt Joseph Roth auf Reisen, und er schickt eindrückliche Reportagen an die Redaktionen zurück. Er genießt die Wanderschaft und Freiheit, das ausschweifende Leben in Hotels und Cafés, befreit von allen bürgerlichen Zwängen. In der Fremde fühlt er sich heimisch. Von allen Ländern jedoch berührt ihn keines so wie Frankreich. Paris und die südfranzösischen, „weissen“ Städte hinterlassen bleibende Eindrücke bei ihm.

„Als ich dreißig Jahre alt war, durfte ich endlich die weißen Städte sehen, die ich als Knabe geträumt hatte. Meine Kindheit verlief grau in grauen Städten. Meine Jugend war ein grauer und roter Militärdienst, eine Kaserne, ein Schützengraben, ein Lazarett.“

In Paris und Marseille taucht er ein in die Vielfalt an Völkern, Sprachen und Kulturen. Er findet eine Welt, in der Magie, Mystik und Wunder noch eine Rolle spielen. All dies kennt er aus seiner galizischen Heimat. Es ist, als ob er lange in einem hintersten Winkel seines Gedächtnisses verborgene Erinnerungen wiederfindet. Er holt einen Teil seines Ichs in sein Bewusstsein zurück, den er in den Zeiten des Geldverdienens vergessen hatte. Er besinnt sich seiner jüdischen Wurzeln, schreibt über das Schicksal der armen Ostjuden auf der Flucht. Seine Beschreibungen der „weißen Städte“ sind eine Liebeserklärung.

In Frankreich fühlt er sich frei. Er kann sich selbst sein und muss keine Rolle spielen. Deutschland, wo er nie heimisch wurde, rückt für ihn in eine solche Ferne, dass Roth es nicht nur durch eine Grenze, sondern einen literarischen Zaun von Frankreich getrennt sieht.

„Hinter dem Zaun gewann ich mich selbst wieder. Ich repräsentiere nicht, ich übertreibe nicht, ich verleugne nicht.“

Deutschland verkommt für Roth zur spießbürgerlichen Provinz; es ist deprimierend, kulturlos, eindimensional. Und es ist auf dem Weg in eine nationalsozialistische, antisemitische Diktatur: Braunhemden randalieren und Hakenkreuzfahnen wehen im Wind. Als Hitler schließlich an die Macht kommt, ist Joseph Roth einer der Ersten, der aus Deutschland flieht. Kurz danach werden seine Bücher in Deutschland in die Flammen geworfen. Sein geliebtes Frankreich wird zum Exil.

Man hatte mir für das Bewerbungsgespräch in Amsterdam ein Luxushotel am Dam, dem Hauptplatz der Stadt, gebucht. Nach dem Frühstück blieb mir noch etwas Zeit vor dem Termin, und ich lief ziellos durch die Straßen und Grachten, um mir die Spannung zu vertreiben. Ein prächtiger Sommertag kündigte sich an. Die Luft war schon warm und die Sonne, wo sie durch die schmalen Gassen zwischen den Grachtenhäusern einen Zugang zu mir fand, spendete Energie wie ein zweites Frühstück. Die Stadt selbst schlief noch. Eine Kehrmaschine durchbrach die Stille und fegte den Müll auf, der über dem Pflaster verstreut lag wie vom Körper gerissene Kleidungsstücke nach einer hemmungslosen Nacht. Das Wasser der Grachten schien eine feste, schwarz glänzende Masse, Wohnboote steckten darin. Nur wenn eine Möwe landete, kam Bewegung in die Oberfläche, und Wellenzirkel rollten still gegen die Kanalmauern. Touristen auf gelben Leihfahrrädern schlingerten über einen Platz wie ein Schwarm Stare. Einer brach aus der Formation aus und verirrte sich auf die Gleise, und eine Straßenbahn kam krachend zum Stillstand. Die Geschäfte schlummerten hinter mit Graffiti bemalten Rollläden. Sie sperrten erst zu Mittag auf.

Was war hier gestern Nachmittag noch für ein Treiben gewesen. Alle waren draußen, saßen vor ihren Häusern auf provisorisch auf die schmalen Gehwege hingestellten Bänken und Stühlen. Durch offene Türen und Fenster drang Musik. Man hörte alle Sprachen der Welt. Auf den Grachten eine Prozession von Motorbooten. Von einem zum anderen prostete man sich mit Wein und Bier zu. Eine magische, ausgelassene Stimmung lag über der ganzen Stadt. Ich wusste, dass Amsterdam mein Platz war. Meine Fremde, in der ich heimisch werden sollte.

Joseph Roth hatte meine Stadt oft besucht. Auf den Fotos von ihm in Amsterdam erkennt man den Roth der Exiljahre: aufgedunsen vom Alkohol, tiefe Tränensäcke, ein verwahrloster Bart, Schweiß auf der Stirn, der Anzug nicht so penibel sauber wie man es früher von ihm gewohnt war. Umringt von Freunden, Verlagsmitarbeitern und Exilautoren, in einem Nebel aus Rauch und Alkohol schreibt er in weiterhin glasklarer Sprache, unablässig und unerbittlich, wie zu allen Zeiten gedrängt von überschrittenen Deadlines und längst verbrauchten Vorschüssen. Hin und wieder wirft er einen bissigen Kommentar ins Gespräch ein. Viel öfter noch kippt er einen Schnaps hinunter.

Wenn er inmitten des Gewusels schreibt, umspielt ein fast nicht wahrnehmbares Schmunzeln seinen Mund. Es ist das ironische Schmunzeln eines Wieners, der mit Lust und Liebe seine Helden Schicksalsschläge erleiden, sie zweifeln, schwimmen und untergehen lässt. Und der dabei doch auch mit großem Herzen mit ihnen fühlt und leidet. Er kennt ihr Schicksal wie sein eigenes. Er ringt mit Leben, Leidenschaft und Laster wie seine Romanfiguren.

Aber Roths Schmunzeln ist auch das Überhebliche des begabten Künstlers, der um sein Talent und die Wirkung seiner Worte weiß. Es ist gerade diese Furchtlosigkeit im Schreiben, dieses unbändige Selbstvertrauen, das ich am meisten an Joseph Roth bewundere. Kein Schicksalsschlag konnte seinen Glauben an das eigene Können erschüttern. Vieles hat er in seinem Leben verloren, seine Sprache nie. Es ist das gleiche Selbstvertrauen, mit dem er in Berlin seine Karriere begonnen hatte. Schon damals unterstrich er seinen Status in einem Brief an die Frankfurter Zeitung:

„Ich bin nicht eine Zugabe, nicht eine Mehlspeise, sondern ein Hauptgericht. Man kann das Feuilleton nicht mit der linken Hand schreiben. Das Feuilleton ist für die Zeitung ebenso wichtig, wie die Politik und für den Leser noch wichtiger. Ich bin ein Journalist, kein Berichterstatter, ich bin Schriftsteller, kein Leitartikelschreiber.“

Viel zu wenig hat Josef Roth über Amsterdam selbst geschrieben. Er hatte andere Sorgen. Er kämpfte ums Überleben. Der Meister in Vertragsunterhandlungen konnte kaum noch Vorschüsse aus den armen Exilverlagen pressen. Sein vom Alkohol gezeichneter Körper wurde mehr und mehr zu einem Gefängnis. Der sein Leben lang nach Freiheit sehnende Roth hatte sich selbst eingesperrt. Die immer deutlicher auf einen Krieg hinauslaufenden Entwicklungen trieben ihn an, um für die Wiedereinsetzung eines österreichischen Kaisers zu kämpfen, ein letzter, illusorischer Rettungsanker in einer untergehenden Welt der Gräuel.

Amsterdam war für Roth ein Arbeitsplatz. Er kam auf Besuch, um nach Paris zurückzukehren. In seine Stadt, in der er auch sterben sollte.

Fortsetzung folgt.

Dienstag, 20. Mai 2014

Impressionen aus der Stadschouwburg Amsterdam: Hommage aan Joseph Roth

Leider nur in sehr schlechter Qualität, aber hoffentlich einen Eindruck gebend, hier ein paar Impressionen vom gestrigen Abend in der Stadschouwburg Amsterdam: “Vlucht zonder einde – hommage aan Joseph Roth”. Der Rabozaal war ausverkauft mit mehr als 200 Menschen auf der Warteliste. Mit Dank an die Joseph Roth Genootschap und alle Mitwirkenden:


Regie Johan Simons
Dramaturgie Koen Tachelet
Musik Carl Oesterhelt, Sachiko Hara, Mathis Mayr, Stefan Schreiber
Textarrangement Els Snick


Sprecher u.a. Pierre Bokma, Geert Mak, Tommy Wieringa, Joke van Leeuwen, Gene Bervoets, Anna Drijver, Ans van den Eede, Seppe Decubber
Schauspieler der Münchner Kammerspiele Andre Jung, Kristof van Boven, Steven Scharf, Christian Löber

Uitgeverij Atlas Contact / Uitgeverij Bas Lubberhuizen / Johan Simons
Amsterdam, SLAA, Lira en het Goethe-Institut



Eine erste Rezension findet sich bei knack.









 

 
Mabel Alvarez: Im Garten, 1922. Quelle: roaring20s30s

Montag, 19. Mai 2014

Von Zäunen und anderen Grenzen: mein Joseph Roth (Teil 1)


Persönliche Notizen anlässlich des 75. Todestages Joseph Roths am 27. Mai und seines 120. Geburtstages am 2. September.

Es war Nacht, und ich hatte die Westautobahn für mich allein. Weit voraus strahlte das Fernlicht. Selten musste ich es für einen entgegenkommenden Lastwagen abblenden. Ich suchte die Radiosender ab, blieb schließlich bei einer Männerstimme hängen, die aus einem Buch vorlas.

'Elisabeth war damals schön, weich und zärtlich und mir ohne Zweifel zugeneigt. Die kleinste, die geringste ihrer Handlungen und Gesten rührte mich tief, denn ich fand, daß jede Bewegung ihrer Hand, jedes Kopfnicken, jedes Wippen ihres Fußes, ein Glätten des Rocks, ein leises Hochheben des Schleiers, das Nippen an der Kaffeetasse, eine unerwartete Blume am Kleid, ein Abstreifen des Handschuhs eine deutliche, unmittelbare Beziehung zu mir verrieten – und nur zu mir. Ja, aus manchen Anzeichen, die zu jener Zeit wohl schon zur Gattung der sogenannten »kühnen Avancen« gezählt werden mochten, glaubte ich mit einigem Recht entnehmen zu müssen, daß die Zärtlichkeit, mit der sie mich anblickte, die scheinbar unwillkürliche und höchst zufällige Berührung meines Handrückens oder meiner Schulter bindende Versprechungen waren, Versprechungen großer, köstlicher Zärtlichkeiten, die mir noch bevorstünden, wenn ich nur mochte, Vorabende von Festen, an deren kalendarischer Sicherheit gar nicht mehr zu zweifeln war.'


Unweigerlich versank ich immer tiefer in meinem Autositz wie in einem sanften Fauteuil vor dem offenen Kamin. Am liebsten hätte ich das Auto am Pannenstreifen angehalten, meine Augen geschlossen und wäre dem jungen Franz Ferdinand Trotta aus Joseph Roths Kapuzinergruft, wie ich später erfahren sollte, ins Wien nach dem Ersten Weltkrieg gefolgt.

'War ich nicht bei ihr, kehrte ich in die Gesellschaft meiner Freunde zurück, so war ich wohl versucht, ihnen im ersten Augenblick von Elisabeth zu erzählen; ja sogar von ihr zu schwärmen. Aber im Anblick ihrer müden, schlaffen und höhnischen Gesichter, ihrer sichtbaren und sogar aufdringlichen Spottsucht, deren Opfer zu werden ich nicht nur fürchtete, sondern deren allgemein anerkannter Teilhaber ich zu sein wünschte, verfiel ich sofort in eine stupide, wortlose Schamhaftigkeit, um kaum ein paar Minuten später jener hochmütigen »Dekadenz« zu verfallen, deren verlorene und stolze Söhne wir alle waren.'

Schon bald würde ich die Grenze bei Passau erreichen. Und obwohl ich auch in Deutschland noch ein gutes Stück durch die Nacht zu fahren hatte, ertappte ich mich doch dabei, dass ich den Fuß etwas vom Gaspedal nahm, um noch länger von der Erzählung genießen zu können.

Ich passierte die Grenze, die nicht viel mehr war als ein blaues Verkehrsschild mit einem „D“ in einem weißen Oval. Je weiter ich nach Deutschland kam, desto schwächer wurde das Radiosignal aus Österreich. Langsam löste sich der junge Trotta in der Nacht auf. Bis nur noch ein Rauschen von ihm übrig blieb. So wie für seinen Schöpfer Josef Roth am Ende der dreißiger Jahre, als er die Kapuzinergruft schrieb, seine altösterreichische Heimat unwiederbringlich verloren gegangen war.

Meine erste Begegnung mit Joseph Roth war keine lesende, sondern eine zuhörende. Unser Kennenlernen war pur und unbeeinflusst; keine Buchkritik, kein attraktiver Schutzumschlag haben mich zu einem Kauf verleitet. Ich entdeckte Roth über seine Sprache.

Ich kaufte und las ihn wie ein Besessener. Ich verfiel Roth so unausweichlich wie Franz Ferdinand Trotta der Dekadenz. Entdeckte das journalistische Werk, das mich ebenso in den Bann zog wie seine Romane und Erzählungen. Vertiefte mich in seine legendenhafte Lebensgeschichte. Joseph Roths schöpfersicher Output ist unglaublich: 16 Romane, 19 Novellen und Erzählungen, rund 1500 Artikel publiziert in weit mehr als 100 Zeitungen und Periodika. Und das in zwanzig kurzen Jahren.

Roth lesen heißt, sich Textpassagen auf der Zunge zergehen zu lassen. Sie zu genießen wie Gemälde, an denen man sich nicht sattsehen kann. Seine Erzählungen sind eine Aneinanderreihung von Wort- und Satzperlen. Seine Sprache ist klar und treffsicher, eindringlich und bildhaft schön. Wie könnte ich seinen Stil fassen? Vielleicht mit „Neue Sachlichkeit trifft Legende“.

Es scheint mir ein interessanter Zufall, dass ich Joseph Roth gerade an einer Grenze kennengelernt habe. Denn Grenzen spielen in seinem Leben und Werk eine zentrale Rolle. Die Grenze ist ein Hochdruckkessel des menschlichen Zusammenlebens. Ein Ort, an dem sich die Macht des Staates voll entfaltet. Papiere werden kontrolliert, und wenn man sie nicht hat, gefälscht und verhandelt. Zölle eingehoben, Waren geschmuggelt. Soldaten stationiert. Menschen geschoben, Menschen abgeschoben. An der Grenze wollen alle Geld verdienen: der Staat, der Gauner, der bestechliche Beamte. Die Begriffe von gut und böse verschwimmen an der Grenze. Der Schieber kann Helfer sein, der Zöllner korrupt. Auf beiden Seiten der Grenze leben Menschen, durch Stacheldraht getrennt.

All das faszinierte Roth. Selbst war er an der Grenze Galiziens zum russischen Zarenreich aufgewachsen. Eine Reise nach Wien, ins Zentrum des Habsburgerreiches, dauerte mehr als zehn Stunden per Eisenbahn. In heutigen Maßstäben war Roths Geburtsort Brody von Wien weiter entfernt als heute Wien von New York. Und doch kulturell näher. Roth besuchte das deutschsprachige Gymnasium, las deutsche Literatur und Zeitungen. Die öffentlichen Gebäude der Stadt waren architektonisch stilgleich in der ganzen Monarchie zu finden. Auch in Brody säumten Kastanienbäume die Straßen und Plätze. Man ging ins Kaffeehaus und trank eine Melange. Man aß Tafelspitz, Apfelstrudel und Zwetschgenknödel. Hörte Walzer, Märsche und Polkas. Auf der Straße herrschte das Sprachengewirr des Vielvölkerreiches; polnisch, deutsch, russisch, jiddisch. Auch allgegenwärtig der Antisemitismus, in dieser Stadt, in der so viele Juden lebten. Und in der Grenzstadt Brody gab es die Händler und Schankwirte, die Schmuggler und Schlepper, Soldaten und Zöllner, die armen Ostjuden, die alle Roth so beeindrucken und literarisch sein Leben lang begleiten sollten.


An der Grenze erlernte Joseph Roth instinktiv die Schlauheit, mit der er sich später durchs Leben wurstelte. Er beobachtete schärfer, erkannte früher die Gräuel der Zeit und handelte schneller als andere.
Fortsetzung folgt. 
 


Samstag, 17. Mai 2014

Freitag, 16. Mai 2014

Joseph Roth im NRC Handelsblad

Eine Zeitung nach der anderen schreibt ueber Joseph Roth. Heute das bedeutende NRC Handelsblad. Mit einer herrlichen Zeichnung von Paul van der Steen. Quelle: baslubberhuizen


Joseph Roth, Stefan Zweig und ihr Kaiser. Zeichnung von Paul van der Steen





Russische Avantgarde im Museum De Fundatie in Zwolle


Von 7. Juni bis 14. September 2014 zeigt das Museum De Fundatie in Zwolle Meisterwerke der russischen Avantgarde, u.a. von Lissitzky, Malevitsch, Rodtschenko en Tatlin. Mehr als 100 Zeichnungen, Collagen, Fotomontagen, Buchillustration, usw. werden gezeigt.
Mehr Informationen hier.


Ilja Tjasjnik: Suprematistisch Ornament (Detail), ca. 1926, SEPHEROT foundation (Luxemburg)



Kasimir Malevitsch: Zwei suprematistische Kompositionen mit Kreisen, 1915/1916, SEPHEROT foundation (Luxemburg)

 




El Lissitzky: Selbstportrait, 1924. SEPHEROT foundation (Luxemburg)


Ilja Tschaschnik: Suprematistische Komposition, ca. 1924. SEPHEROT foundation (Luxemburg)

 



Nikolaj Suetin: Suprematistische Komposition, 1928 1929. SEPHEROT foundation (Luxemburg)   

 



Wassili Jermilov: Teller, Brot, Messer, Zündhölzer (Komposition), 1921. SEPHEROT foundation (Luxemburg)

 


Voor de nieuwe mens.
De eerste decennia van de 20e eeuw behoren tot de meest spannende en vernieuwende jaren uit de geschiedenis van de Russische kunst. Tussen 1910 en 1930 wisten kunstenaars in Rusland een volledig nieuwe beeldtaal te creëren, waarbij de oude kunst werd vervangen door een nieuw revolutionair artistiek universum. Figuratie werd afgewezen en er ontstond een volledig abstracte kunst, bestaande uit geometrische vormen in wit, zwart en primaire kleuren. De kunstenaars associeerden zich met het gedachtengoed van de Russische Revolutie en verbeeldden de nieuwe maatschappij en de droom van de heilstaat. Kunst voor de mensheid die zijn ketenen had afgeworpen. Met de tentoonstelling ‘Voor de nieuwe mens. Russisch avant-garde design’ vestigt Museum de Fundatie van 7 juni tot en met 14 september 2014 de aandacht op die revolutionaire tijd. De tentoonstelling omvat circa 110 tekeningen, collages, fotomontages, boekillustraties en objecten van onder meer El Lissitzky, Kazimir Malevitsj, Alexander Rodtsjenko en Vladimir Tatlin. De stukken zijn beschikbaar gesteld door de Sepherot Foundation in Liechtenstein, die ijvert voor het behoud en de presentatie van het baanbrekende werk van de Russische avant-garde kunstenaars.

Geometrisch-abstracte kunst In de eerste decennia van de 20e eeuw vond er in Rusland niet alleen een politiek-maatschappelijke omwenteling plaats, gevoed vanuit dezelfde progressieve geestesgesteldheid was er  binnen de kunsten sprake van een radicale verandering. Kunstenaars als Lissitzky, Malevitsj, Rodtsjenko en Tatlin vonden in de abstracte kunst een toekomstgerichte uitingsvorm voor de stap naar een nieuw tijdperk. Het Zwarte vierkant op een witte ondergrond dat Malevitsj in 1915 presenteerde, werd als oervorm van de beeldende vormgeving tot icoon van een nieuw begin in de kunst. Terwijl Malevitsj in het suprematisme de volledige bevrijding van de figuratie verkondigde als uiting van de zuivere ervaring, streefden de constructivisten naar nieuwe, op functie en materiaal gerichte vormgevingsprincipes. Geïnspireerd door de revolutie van 1917 wilden veel jonge Russische kunstenaars een bijdrage leveren aan de algehele transformatie van de samenleving. De suprematisten hadden tot doel de kunst uit te breiden naar alle facetten van het materiële, geestelijke en spirituele leven en zo het maatschappelijke leven een nieuwe start te geven. De constructivisten wilden de kunst op toegepaste gebieden betrekken om zo via de productie bij te dragen aan maatschappelijke verandering. Voor het Bauhaus in Duitsland en De Stijl in Nederland werden de kunstenaars rondom Lissitzky, Malevitsj, Rodtsjenko en Tatlin tot voorbeelden en wegbereiders.

Sepherot Foundation Nadat Stalin een einde had gemaakt aan de korte fase van deze avant-gardistische aspiraties, verdwenen de werken uit de openbaarheid. De Sepherot Foundation in Liechtenstein heeft in de loop van de jaren deze stukken opgespoord en verzameld. Voor de expositie in Museum de Fundatie stelt de stichting een fraaie selectie van hun omvangrijke collectie Russische avant-garde kunstenaars ter beschikking. Zij wil zo bijdragen aan de verspreiding van de cultureel-artistieke erfenis van Rusland, en vergeten namen en werken uit de Russische kunstgeschiedenis weer onder de aandacht van het publiek brengen.

Russisch avant-garde design Aan de hand van grafische werken en objecten wordt op de expositie ‘Voor de nieuwe mens. Russisch avant-garde design’ inzichtelijk gemaakt hoe de stormachtige ontwikkeling van het Russisch design zich aan het begin van de 20e eeuw voltrok. De onuitputtelijke schat aan experimenten en ontwerpen uit deze bloeiperiode geeft een indruk van de rijkdom van een creatief potentieel. Museum de Fundatie presenteert een keur aan werken van kunstenaars die de radicaal nieuwe concepten van de geometrisch-abstracte kunst enthousiast overnamen en gebruikten op alle gebieden van de beeldende en toegepaste kunst.

De volgende kunstenaars zijn vertegenwoordigd: Natalja Gontsjarova, Vasili Jermilov, Michail Larionov, El Lissitzky, Kazimir Malevitsj, Nadezjda Oedaltsova, Ivan Poeni, Ljoebov Popova, Alexander Rodtsjenko, Olga Rozanova, Nikolaj Soejetin, Vladimir Stenberg, Varvara Stepanova, Vladimir Tatlin, Ilja Tsjasjnik en Jakov Tsjernichov. Tot op de dag van vandaag is hun invloed op de beeldende kunst, architectuur en vormgeving voelbaar.